von Gabor Steingart

Die aktuelle Nachrichtenlage überschattet die Geschehnisse am Finanzmarkt. Dabei geht unter, wie hoch die Schulden der USA inzwischen sind und wie schwierig die Refinanzierung. Was für die Weltwirtschaft schwere Folgen haben könnte.

Die mediale Wertschöpfungskette ist ein Gebilde, das man sich als große Umwälzanlage von Nachrichten vorstellen muss. In die sogenannte Heavy Rotation schaffen es in der Regel nur zwei Themen, die dann 24/7 den News Cycle dominieren. Hektisch wird von Kiew nach Gaza, vom Krieg in Nahost auf Krieg in der Ukraine umgeschaltet: Putin und Hamas, Biden und Selenskyj.

Dabei entgehen dem Publikum jene dramatischen Verwerfungen an den Weltfinanzmärkten, die zum Tuschelthema an der Wall Street, in Frankfurt, London und Hongkong geworden sind. Der schwarze Schwan, der für die Unterbrechung von Normalität steht, ist noch nicht gelandet, aber er kreist unbeleuchtet über unseren Köpfen. Die im Dunkeln sieht man nicht.

Es geht um den größten Schuldner der Welt, die USA, der einerseits das Tempo der Verschuldung in diesem Jahr enorm gesteigert hat und andererseits Mühe hat, neue Finanziers zu finden, die ihn refinanzieren. In der Tektonik des Weltfinanzsystems beginnen die Bodenplatten sich zu bewegen. „Der Markt hat wichtige Stabilisatoren verloren“, sagt Mohamed A. El-Erian, einst Vorstandsvorsitzender der US-Investmentgesellschaft PIMCO, heute Präsident des Queens’ College der Universität Cambridge und Wirtschaftswissenschaftler.

  • Die unschuldig aussehenden Schuldverschreibungen des US-Finanzministeriums, besser bekannt als US-Staatsanleihen, haben seit dem Beginn der COVID-19-Pandemie einen atemberaubenden Absturz erlebt. Die seismographischen Messgeräte melden erhebliche Erschütterungen:
  • Der BlackRock iShares 20+ Year Treasury Fund, der die Kurse langlaufender Anleihen verfolgt, ist seit April 2020 um 48 Prozent gesunken.
  • Gleichzeitig sind die Renditen für 10-jährige US-Staatsanleihen, die sich gegensätzlich zu den Preisen bewegen, kürzlich auf über fünf Prozent gestiegen.
„Bei sechs Prozent beginnt ein Zerstörungsprozess, dann wird etwas kaputtgehen“, sagt El-Erian.
  • Moody’s schätzte im vergangenen Monat, dass US-Finanzinstitute bis zum 30. September unrealisierte Verluste in Höhe von 650 Milliarden Dollar angehäuft hatten, ein Anstieg von 15 Prozent gegenüber dem Stand vom 30. Juni.

Dieses Gewittergrollen vom amerikanischen Kapitalmarkt ist nicht überraschend. Es hat vier handfeste Gründe:

  1. Es fehlen Käufer für die amerikanischen Schuldtitel

Es gibt in den USA, anders als in Japan oder der Bundesrepublik, kein nennenswertes inländisches Sparvermögen, so dass die Käufer der Staatsanleihen im Ausland akquiriert werden müssen. Bisher war China ein verlässlicher Aufkäufer. In der Spitze hielten die Chinesen laut dem US-Finanzministerium 26 Prozent aller amerikanischen Staatsanleihen. Doch allmählich zieht sich das Reich der Mitte vom Systemrivalen zurück und hat seine Bestände an amerikanischen Staatsanleihen im August um 21 Milliarden Dollar reduziert. Ein solcher Rückgang ist seit vier Jahren nicht mehr vorgekommen. Mittlerweile beträgt der Anteil der Chinesen am Gesamtportfolio der amerikanischen Staatsschulden nur noch knapp elf Prozent. Die großen US-Banken, die auf ihren enormen Buchverlusten sitzen, kommen als weitere Käufer derzeit nicht in Frage. Ihr Risikoappetit ist gestillt. Und Käufer Nummer drei, die amerikanische Notenbank, hat das Kaufen grundsätzlich eingestellt. Dort will man die Wirtschaft jetzt nicht stützen, sondern dämpfen.

  1. Die Zinsspekulation verunsichert die Märkte

Die Investoren sind angesichts eines Feuerwerks an Ankündigungen und auch der zurückgenommenen Ankündigungen verunsichert. Sie spekulierten freihändig darüber, ob die US-Notenbank die Zinsen weiter erhöhen oder auf dem aktuell hohen Niveau halten könnte. Der Leitzins liegt derzeit in der Spanne von 5,25 bis 5,50 Prozent.

  1. Die Krise wird durch ihre Vertuschung größer

Die aktuelle Anleihenkrise wird von der Politik und den großen Banken durch Schweigen begleitet. Im Gegensatz zu den bekannten Aktienmarktcrashes wie 1987 oder dem Einbruch am Neuen Markt zur Jahrhundertwende wird heute nicht viel Aufhebens um diese enormen Rückschläge und den davon ausgehenden Berichtigungsbedarf in den Bilanzen gemacht.

Ein wichtiger Grund für die Verschwiegenheit in diesen Tagen ist die Prominenz der Betroffenheit: Die Bank of America hat die größten Probleme mit dem Einbruch der Anleihepreise, da sie im letzten Monat ein potenzielles Loch von 130 Milliarden Dollar in ihrer Bilanz bekannt geben musste. Aber auch die anderen Mitglieder der „Big Four“ – Citigroup , JPMorgan und Wells Fargo – haben in den Geschäftsberichten des zweiten und dritten Quartals unrealisierte Verluste in zweistelliger Milliardenhöhe vermeldet. Die Aktienkurse reflektieren das gestiegene Risiko. Die Bank of America wurde am stärksten getroffen, mit einem Kursrückgang von 22 Prozent im letzten Jahr und 12 Prozent seit Jahresbeginn.

  1. Zweifel an der Tragfähigkeit der US-Schulden

Die US-Regierung hat in diesem Jahr frische Anleihen im Wert von 18,3 Billionen Dollar vergeben, ein Anstieg um 31,9 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Die aktuelle Verschuldung der USA hat die Marke von 33,5 Billionen US-Dollar überschritten – mehr als zwei Billionen US-Dollar als noch im Juni. Und die beiden großen Parteien werfen sich zwar das hohe Verschuldungstempo gegenseitig vor, um dann ein ums andere Mal die Schuldengrenze nach oben zu verschieben. Insgesamt 78-mal wurde die Schuldenobergrenze seit 1945 verschoben.

Fazit: Am Kapitalmarkt zeigt sich die Verwundbarkeit der USA. Ihr Lebensstil, bislang finanziert von geduldigen Investoren aus aller Welt, ist nicht nachhaltig. Der gefährlichste Gegner der USA ist nicht China, Russland oder der Iran, sondern die eigene Augenblicksgier.

Lösung: In Gold we trust!

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