Eine drohende Zinswende und vormarschierende Kryptowährungen trüben die Aussichten von Gold merklich ein. Baader-Bank-Chefanalyst Robert Halver überlegt, ob sich das Edelmetall gegen diese zwei Gegner erfolgreich verteidigen kann.
Zinsen waren lange Zeit die besten Freunde des Edelmetalls, einfach, weil es keine gab. Mit wachsender Angst vor Inflation und damit vor Zinswende hatte die Freundschaft zwischenzeitlich jedoch Schaden genommen. Gleichzeitig droht auch von Kryptowährungen Gefahr, die Gold als Stabilitätswährung den Fehdehandschuh hinwerfen. Kann sich Gold gegen diese zwei Gegner erfolgreich verteidigen?
Erst Zins-Feind, dann Zins-Freund, jetzt wieder Zins-Feind?
Das einstige Killerargument gegen Gold, dass es keine Zinsen zahlt, ist seit vielen Jahren kein Nach- sondern ein Vorteil. Allerdings findet zurzeit die weltweit größte konjunkturelle Mobilmachung aller Zeiten statt. In der Folge haben sich die Renditen für Staatsanleihen in Amerika binnen Jahresfrist verdreifacht und in Deutschland scheinen sie dabei zu sein, den Negativbereich zu verlassen.
So war es kaum verwunderlich, dass Gold sein Allzeithoch aus 2020 bei 2.050 US-Dollar je Unze verlassen und im März und April dieses Jahres zwischenzeitlich sogar unter 1.700 fiel. Die bedingungslose Kapitulation von Gold an der Zinsfront schien beschlossene Sache zu sein.
Bei Zinsen darf die Inflationsbetrachtung nie zu kurz kommen
Absurderweise hat der Goldpreis seit April wieder kräftig angezogen. Die klassische Gleichung „Steigende Inflation = Höhere Zinsen = Schwächere Goldpreise“ wurde offenbar zur Ungleichung. Da scheint es zu einem Strukturbruch gekommen zu sein und zwar bei den Notenbanken. Früher pflegten sie noch die feine diplomatische Note wie Außenminister, die viel reden, aber nichts sagen. Und heute treten sie auf wie Stadionsprecher und tun platt und unverblümt kund, dass die Inflation nur transitorisch, nur vorübergehend ist. Und wenn so etwas ausgerechnet von der EZB zu hören ist – die zumindest auf dem Papier der Stabilität verpflichtet ist – spricht alles dafür, dass es grundsätzlich bei der geldpolitisch antiautoritären Erziehung bleibt.
Die im Frühjahr noch eingeschüchterten Edelmetallanleger haben diese Wesensänderung der Notenbanken mittlerweile durchschaut. Sie wissen, dass den Notenbanken von der Politik die Hände gebunden wurden. Eine apokalyptische Überschuldung der Welt – alles zusammengerechnet etwa 285 Billionen US-Dollar – die Finanzierung des grünen Umbaus der Wirtschaft, die Wiederbelebung der Wettbewerbsfähigkeit und des Zusammenhalts Europas sowie die zinsseitige Währungsschwächung zur Exportstärkung lassen den Luxus steigender Zinsen und Renditen trotz hoher Inflation nicht mehr zu.
Wenn aber Inflationsbekämpfung nur noch ein Lippenbekenntnis ist und in Sonntagsreden auftaucht, sie also laufen gelassen wird, wird sie nicht zum Feind, sondern zum besten Freund von Gold. Von der Zinsfront hat Gold wenig zu befürchten.
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