Finanzwissen ist in Deutschland kaum vorhanden. Deshalb benötigen die meisten Anleger professionelle Unterstützung. Dass Beratung niemals kostenfrei ist, wissen die wenigsten. Wüssten sie es, würden viele sich nicht mehr beraten lassen. Ein Dilemma.
Am 3. Mai wird die Europäische Kommission ihre Vorschläge für ihre sogenannte Retail-Investment-Strategie vorlegen. Das ist einen Monat später als ursprünglich geplant. Und das hat seinen Grund. Denn in der Strategie geht es unter anderem um ein Verbot der Provisionsberatung. Bisher erhalten Berater und Vertriebe für den Verkauf von Finanzprodukten verschiedene Arten von Rückvergütungen. Dazu zählen direkte Verkaufs- und laufende Bestandsprovisionen. Die für die Strategie hauptverantwortliche EU-Finanzmarktkommissarin Mairead McGuinness will diese Provisionen abschaffen. Die Finanzbranche wehrt sich dagegen. Schließlich ist Beratung mit Zeit und anderem Aufwand verbunden. Kostenfrei wird Finanzberatung deshalb auch in Zukunft nicht sein. Wie sich Beratung finanzieren lässt, machen derzeit Honorarberater und teilweise auch schon 34f-Berater vor: Sie setzen auf einen Mix aus laufenden Gebühren, die sich an der Höhe des betreuten Kapitals orientieren, und Beratungshonoraren.
Neun von zehn Befragten ist der Überzeugung, noch nie für Beratung bezahlt zu haben
Einer Studie zufolge ist sich nur gut die Hälfte (56 %) der Befragten im Klaren darüber, dass in Anlageprodukten Provisionen enthalten sind, die zu ihren eigenen Lasten gehen. Nur 15 Prozent gaben an, das nicht zu wissen. 90 Prozent sind dennoch der Überzeugung, noch nie für Beratung bezahlt zu haben. 69 Prozent sagen das selbst bei zweitem Nachfragen noch – trotz des Hinweises, auch Provisionen als mögliche Bezahlform in Betracht zu ziehen. Wie lückenhaft das Wissen der Kunden über die Kostenstrukturen sind, belegen auch weitere Angaben: 86 Prozent der Befragten geben an, nicht zu wissen, wie sich die Kosten für die Beratung bei der eigenen Bank zusammensetzen, 62 Prozent von ihnen wüssten es aber gerne. Rund die Hälfte der Bankkunden weiß nicht, wie hoch einmalige Abschlussprovisionen im Schnitt ausfallen, ein ähnliches Bild zeigt sich bei den laufenden Provisionen.
Beratungsdokumentationen werden nicht gelesen oder nicht verstanden
Zwei wichtige Ziele der MiFID-II-Richtlinien, sind es, die Finanzberatung qualitativ zu verbessern und Anleger im Beratungsprozess besser aufzuklären, nicht zuletzt auch über die Kosten von Finanzprodukten und deren Vertrieb. Dafür sollen unter anderem ausführliche Beratungsdokumentationen sorgen. Soweit die Theorie. Die Praxis sieht anders aus. Laut Umfrage lesen zwei Drittel der Befragten die Unterlagen nicht. Und 60 Prozent derer, die sie lesen, geben an, dass sie die Unterlagen nicht verstehen.
Das Ergebnis ist ernüchternd und offenbart ein Dilemma der Regulierung: Einerseits soll die Dokumentation für mehr Transparenz sorgen und somit die Anleger schützen. Andererseits sorgt eine Dokumentation, die nicht gelesen oder verstanden wird, dafür, dass sich Finanzdienstleister preiswert gegen Anlegerklagen absichern können. Denn sie können immer auf die ausgehändigte Dokumentation verweisen.
Bankkunden glauben, dass sie nicht immer optimal beraten werden
Knapp 70 Prozent der Befragten fühlen sich bei ihrer jetzigen Bank gut beraten, obwohl sie ahnen, dass Bankberater nicht immer im Sinne der Kunden handeln, sondern den jeweiligen Vertriebszielen folgen. „61 Prozent der Deutschen will unabhängige Bankberatung. Aber nur 26 Prozent sagen, dass sie diese auch tatsächlich erhalten“, sagt Dr. Konrad Weßner von der puls Marktforschung GmbH. Die Befragten gingen davon aus, dass ihre Berater nur hauseigene oder Produkte mit hohen Provisionen verkaufen, wodurch keine Unabhängigkeit entstehen kann. Trotzdem änderten diejenigen, die sich schlecht beraten fühlen, oft nichts, weil es bei anderen provisionsfinanzierten Banken nicht besser sei. Das sei paradox, aber eben Realität.
Die Deutschen wollen ein Provisionsverbot, würden aber nichts für eine Beratung zahlen wollen
Paradox ist auch die Haltung der Deutschen zum Thema Provisionen: 54 Prozent derer, die schon mal Provisionen gezahlt haben, sagen, dass die Provisionen zu hoch seien. 63 Prozent wünschen sich ein Provisionsverbot. Wenn Provisionen in Deutschland verboten würden, würde jedoch nur jeder Dritte ein Honorar zahlen wollen, 40 Prozent würden keine Beratung mehr in Anspruch nehmen. Für Karl Matthäus Schmidt (Quirin Bank) liegt der Grund dafür in der „jahrelangen Lobbyarbeit der Provisionsindustrie. Sie hat immer und immer wieder behauptet, dass kein Mensch sich die Alternative zum provisionsfinanzierten Produktverkauf, die unabhängige Beratung gegen Honorar, leisten könne“. Gleichzeitig überraschen die Aussagen nicht. In Großbritannien und den Niederlanden, wo Provisionen bereits verboten sind, sind die Kosten für Anlageprodukte zwar gesunken. Doch beraten lassen sich fast nur noch vermögendere Anleger. Finanzwissen wird immer weniger in breitere Bevölkerungsschichten getragen.
Fazit: Es gibt unterschiedliche Meinungen dazu, ob der Vorstoß von EU-Finanzmarktkommissarin Mairead McGuinness zielführend im Sinne eines besseren Anlegerschutzes ist. Ein positiver Effekt ist aber auf jeden Fall, dass nun öffentlich über den Sinn und Zweck einer Vergütung für eine adäquate Finanzberatung diskutiert wird. Dass Beratung – in doppeltem Sinne – nicht umsonst ist, könnte im Rahmen dieser Diskussion ins öffentliche Bewusstsein dringen. Es wäre ein Fortschritt, ganz gleich, wie das Gesetzgebungsverfahren in Brüssel letztlich ausgeht.
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