Im Rückspiegel wirken positive Entwicklungen unausweichlich. Natürlich musste Amazon sich durchsetzen. Google, das war klar, wird zuerst den Suchmaschinenmarkt durchschütteln, danach die meisten Smartphones mit einem Betriebssystem ausstatten und nebenbei eine der bedeutendsten Cloud-Computing Plattformen starten.
Ein ehrlicher Blick in die Vergangenheit zeigt oft ein diffuseres Bild. Als Google am 19. August 2004 an die Börse ging, gab es noch kein ernstzunehmendes Smartphone. Erst drei Jahre später präsentierte Steve Jobs das erste iPhone. Auch Cloud-Computing war nicht in aller Munde. Google Cloud ist seit 2011 verfügbar.
Die Konkurrenz unter den Suchmaschinen war beträchtlich. Ebenfalls nicht vorhersehbar waren die Details der Evolution von Amazon vom Online-Buchhändler zum Plattformanbieter. So blieb die Aktie des Unternehmens trotz der von Jeff Bezos kommunizierten und erfolgreich umgesetzten “trial and error”-Strategie bis vor wenigen Jahren ein unbeliebtes Papier. Die Begründungen für ein mögliches Scheitern der Firma klangen plausibler als die Darstellung des sich bietenden Potentials.
Auch beim Thema Kryptoassets dominiert eine kurzfristige Sichtweise. Abgesehen von den Phasen deutlicher Kursanstiege des Bitcoins oder anderer digitaler Assets herrscht medial weitgehende Stille zu dem Thema. So wächst unter dem Radar der allgemeinen Berichterstattung eine neue Branche heran, in der es zwar manchen Wildwuchs gibt, die jedoch die Basis für kommende technische Umwälzungen legen.
Mehr noch als die Anwendungsmöglichkeiten Blockchain basierter Anwendungen rückt die monetäre Komponente, und damit vor allem der Bitcoin in den Mittelpunkt des Interesses. Ein wesentlicher Treiber dieser Entwicklung ist die über Jahre anhaltende expansive Notenbankpolitik der relevanten Zentralbank. Negative Zinsen sowie die Sorge vor größeren Einschnitten in die Währungssysteme erhöhen den Druck, sich nach Alternativen umzuschauen.
Auf Grund der Skalierbarkeit wird Bitcoin auf dem aktuellen Stand eher als ein Mittel zur Wertaufbewahrung denn als Mittel für den alltäglichen Zahlungsverkehr eingestuft. Und ähnlich wie beim Gold ist es diese Funktion, die in den kommenden Jahren an Bedeutung zulegen sollte.
Als dezentrale Lösung, die nicht von einer vertrauenswürdigen Instanz abhängig ist, profitieren digitale Assets vom Netzwerkeffekt. Wie beim Telefonnetz, bei der Nutzung von E-Mails oder bei Chat-Programmen steigt die Bedeutung eines Netzwerks mit der Anzahl aktiver Nutzer dieses Netzwerks. Als “Netzwerk-Asset” mit wachsender Akzeptanz, das von jedem Rechner oder Smartphone aus eingesetzt werden kann, ist die Anzahl potentieller Nutzer enorm.
Das Bessere ist der Feind des Guten heißt es. Das ist korrekt und gilt auch für Netzwerke. Die Entstehung einer besseren Plattform mit einem besseren Kryptoasset kann perspektivisch zu einer Abwanderung führen. Besser ist jedoch bei Netzwerken nicht gleichbedeutend mit mehr Funktionalität. Der Vergleich einer Plattform wie Ethereum mit dem Bitcoin Netzwerk ist daher irreführend. Nur weil es mehr Einsatzzwecke für Kupfer oder Aluminium gibt als für Gold, werden diese beiden Metalle nicht das neue Reserveasset der Zentralbanken werden.
Für den langfristigen Erfolg eines konkurrierenden Netzwerks müssten die Nutzer der Alternative mit vergleichbarer Überzeugung ausgestattet sein. Reine Netzwerk-Hopper, die heute dies und morgen das bevorzugen, werden dem bestehenden Bitcoin Netzwerk nichts anhaben können. Denn auch der Bitcoin wird sich weiterentwickeln. Sukzessive Verbesserungen und das schon bestehende Netzwerk mit einer wachsenden Zahl überzeugter und mittlerweile auch finanziell ernstzunehmender Nutzer sorgen für eine zunehmende Stabilität, die wiederum andere Nutzer anzieht. Je länger ein solches Netzwerk existiert, desto niedriger sind die Chancen für die Konkurrenz.
Fazit
Eine statische Sichtweise der Welt ist angesichts der an Dynamik zunehmenden technischen Entwicklungen in vielen Bereichen eine der beiden bedeutendsten Fehlerquellen bei der Einstufung künftiger Entwicklungen. Die zweite ist eine Fokussierung auf die sehr nahe Zukunft und nicht auf die lange Frist. Es ist sinnvoller, sich mehr Gedanken über das kommende Jahrzehnt als über das kommende Quartal zu machen. Das Resultat des kommenden Quartals ist in weiten Teilen bereits determiniert durch Entscheidungen und Handlungen der letzten Jahre. Für das kommende Jahrzehnt kann man sich jetzt ausrichten.