Der rapide Zinsanstieg seit 2022 hat den deutschen Lebensversicherer hunderte Milliarden Euro Kursverluste durch Anleihen beschert. Direkt betroffen sind Anleger, deren Police dieses Jahr ausbezahlt werden.
Nachdem die Europäische Zentralbank (EZB) im vergangenen Jahr die Zinswende im Euroraum eingeläutet hatte, hat sich der Leitzins durch die Anhebungen von 0,00 Prozent mittlerweile auf 4,00 Prozent (Stand Juni 2023) erhöht. Für die Lebensversicherungsgesellschaften, die vorwiegend in Anleihen und andere Zinspapiere investieren, hat dies enorme kurz und langfristige Folgen. Betroffen sind ihre Kunden, die nun ihre Altersvorsorge ausbezahlt bekommen. Denn die private Altersvorsorge älterer Deutscher wird von deren klassische Renten- und Lebensversicherungsprodukten dominiert. Der Ende Juni veröffentlichte „Marktausblick zur Lebensversicherung“ der Rating-Agentur Assekurata zeigt die Folgen der Leitzinserhöhung für die Anlagen der Lebensversicherer auf.
„Die gestiegenen Zinsen und die hohe Inflation haben erhebliche Auswirkungen auf die Bilanz- und Geschäftssituation der Lebensversicherer“, sagt Lars Heermann, Bereichsleiter Analyse und Bewertung bei Assekurata.
Stille Lasten der Lebensversicherer in Höhe von 100 Milliarden Euro
Laut den Daten von Assekurata haben deutsche Lebensversicherungsgesellschaften derzeit noch etwa 70 Prozent ihrer Kapitalanlagen (nach Marktwerten) in festverzinslichen Anlagen investiert. Um ihre Leistungsverpflichtungen dauerhaft sicherzustellen, hatten viele Gesellschaften in Niedrigzinszeiten Anleihen von hoher Qualität und mit langen Laufzeiten gekauft. Langfristig verbessern die von der Europäische Zentralbank ausgelösten Zinserhöhungen zwar ihre Erträge der neu erworbenen Anleihen, die Anleihen im Bestand haben allerdings enorme Kursverluste erlitten. „Die konservative Anlagepolitik der Branche führt in Zeiten steigender Zinsen zu erheblichen stillen Lasten in den Büchern der Lebensversicherer, sprich zu geringeren Marktwerten gegenüber den Buchwerten der festverzinslichen Kapitalanlagen“, erläutert Lars Heermann. Nach der Statistik der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) hatten alle Lebensversicherer im dritten Quartal 2020 zusammen noch 204,1 Milliarden Euro Bewertungsreserven. Zwei Jahre später – im dritten Quartal 2022 – stand dort ein Minus von 97 Milliarden Euro. Laut den aktuellen Schätzungen von Assekurata belaufen sich die stillen Lasten auf Branchenebene mittlerweile insgesamt auf etwas mehr als 100 Milliarden Euro. Seit Mitte vergangenen Jahres hat die EZB mit ihrer Leitzinserhöhung also mehrere hundert Milliarden Bewertungsreserven vernichtet, die sie zuvor durch ihre langjährige Niedrigzinspolitik mit geschaffen hat. Eine Vorstellung über die Höhe der Kursverluste der Anleihen durch die Leitzinserhöhung gibt der Verlauf des Deutschen Rentenindex REXP seit Anfang vergangenen Jahres (siehe Grafik REXP in Punkten unten).
Verlauf des Deutschen Rentenindex REXP
Wie eine Auswertung einer Leserumfrage der Stiftung Warentest vom 14. Februar 2023 zeigt, sind durch die drastische Abschmelzung der Bewertungsreserven vor allem ältere Versicherte betroffen, die nun ihre Lebens- und Rentenversicherungen ausbezahlt bekommen. Selbst im Vergleich zur letzten Standmitteilung, die nur wenige Monate vor Auszahlung bei Versicherten eintraf, fiel die Rente oder Kapitalzahlung oftmals geringer aus als angekündigt. „In der letzten Standmitteilung standen 2025 Euro Beteiligung an den Bewertungsreserven“, schreibt Arndt Marx aufgrund der Leserumfrage der Stiftung Warentest. Bei der Auszahlung drei Monate später war die angekündigte Summe „komplett entfallen“. Der Grund: Der Rückgang der Bewertungsreserven führt zu einer entsprechenden Senkung der Schlussüberschüsse. Diese fallen in der Regel neben den angesammelten Garantieverzinsen und den laufenden Überschüssen am Vertragsende der klassischen Lebensversicherungsprodukte an und können einen beträchtlichen Anteil an der gesamten Ablaufleistung ausmachen. Liegt der Marktwert der Kapitalanlagen der Lebensversicherer unter dem Anschaffungspreis, hat der Versicherer stille Lasten. Dann gibt es nichts. Kunden sollten die angekündigten Reserven in den Standmitteilungen vergangener Jahre also nicht für bare Münze nehmen. Wann genau das Unternehmen die Reserven bei der Auszahlung zuteilt, ist allerdings in den jeweiligen Versicherungsbedingungen geregelt.
Aufgrund des mittlerweile hohen Zinsniveaus scheinen viele Lebensversicherer jetzt davon auszugehen, dass nur noch wenige weitere Leitzinserhöhungen anstehen und daher kaum mit weiteren Kursverlusten von Anleihen zu rechnen ist. Dies zeigt eine von Assekurata jüngst durchgeführten Befragung unter Kapitalanlegern bei Versicherern. Im Vergleich zu den Vorjahren gaben die meisten Teilnehmer der Befragung an, den Anteil an festverzinslichen Wertpapieren stärker ausbauen zu wollen, während Substanzwerte wie Immobilien tendenziell reduziert werden sollen.
Anleger sollten die Rentabilität ihre Policen überprüfen
Während die Versicherten am Vertragsende durch die rapide Zinserhöhung durch den Verlust der Bewertungsreserven benachteiligt werden, ist auch keinesfalls sicher, ob Versicherte mit längerer Restlaufzeit von den höheren Zinserträgen profitieren. Sie sollten genau wichtige Informationen zu den Garantie- und Ablaufleistung sowie den Rückkaufswert bei Kündigung aus den von den Lebensversicherungsgesellschaften zugesandten Standmitteilungen für ihre abgeschlossene Policen beachten.
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