Das Wirtschaftswunder der 1950er Jahre wiederholt sich trotz des grünen Investment-Booms nicht, ist Johannes Mayr von der Anlagegesellschaft Eyb & Wallwitz überzeugt. Hier sagt der Volkswirt, wie sich die Konjunktur in Deutschland derzeit entwickelt.
Säkulare Stagnation. Der Begriff passt für viele Experten nicht zur wirtschaftlichen Entwicklung Deutschlands der vergangenen Jahre. Tatsächlich hat sich die Bundesrepublik im internationalen Vergleich seit der Finanzkrise relativ gut geschlagen. Auch von Covid-Einbruch erholte sich die Konjunktur hierzulande schneller als in vielen Nachbarländern. Konsum und Investitionen legten stark zu – mit entsprechendem Schub bei Verbraucher- und Asset-Preisen. Zudem erreichten die Geldvermögen Rekordniveaus.
Seit den 1970er Jahren wächst die Wirtschaft langsamer
Der etwas weitere Rückblick zeigt allerdings ein Problem, dass Deutschland mit vielen Ländern der westlichen Welt teilt. So lag das reale Wirtschaftswachstum hierzulande seit der Finanzkrise im Schnitt lediglich bei 1,6 Prozent pro Jahr. Pro Kopf gerechnet lag es sogar nur bei 1,2 Prozent. Die Zahlen liegen weit unter den Niveaus vergangener Dekaden. Dieser Trend zeigt sich seit den 1970er Jahren und kann als säkulare Verlangsamung bezeichnet werden.
Die Prognosen für die kommenden Jahre sind ebenfalls trüb. Sie attestieren Deutschland nur noch ein Potenzialwachstum von knapp einem Prozent. Pro Kopf bedeutet das kaum mehr als Stagnation. Um dieser säkularen Stagnation entgegenzuwirken und zugleich die ambitionierten Klimaziele zu erreichen, setzen Wirtschaft und Politik vermehrt auf Investitionen und Innovationsimpulse im Zuge der Energiewende – sprich auf grünes Wachstum. Skeptiker dieses Modells propagieren dagegen eine aktive Schrumpfung der Wirtschaft zur Erreichung der Klimaziele, kurz „De-Growth“.
Beide Wege sind theoretisch möglich, in der Praxis allerdings wenig realistisch. Vielmehr dürfte sich die säkulare Stagnation insgesamt verfestigen. Allerdings dürften Expansion und Schrumpfung zeitgleich in verschiedenen Bereichen der Wirtschaft auftreten.
In Deutschland verlieren konventionelle Wachstumskräfte an Kraft
Die Gründe für die säkulare Verlangsamung des Wirtschaftswachstums in der westlichen Welt seit den 1970er Jahren sind vielschichtig. An erster Stelle steht die demografische Entwicklung und damit der Abwärtsdruck beim Produktionsfaktor Arbeit, der für rund die Hälfte der Verlangsamung verantwortlich ist. So hat das Bevölkerungswachstum in vielen Regionen an Tempo verloren. In zahlreichen Ländern der westlichen Welt würde die Bevölkerung ohne Migration sogar bereits schrumpfen. Die Steigerung der Erwerbsbeteiligung hat diesen Effekt lediglich gedämpft.
Auch der Produktionsfaktor Kapital hat erheblich zur Wachstumsverlangsamung beigetragen. Dabei spielen geringe Investitionen eine zentrale Rolle. In Deutschland ist diese Entwicklung besonders auffällig. Hierzulande ist die Nettoinvestitionsquote der privaten Wirtschaft von über 8 Prozent am Bruttoinlandsprodukt (BIP) Anfang der 1990er Jahre auf unter 2 Prozent gesunken. Der öffentliche Sektor hat seinen Kapitalstock in Deutschland bereits seit Ende der 1990er Jahre überhaupt nicht mehr ausgebaut. Die marode Verkehrs- und Digitalinfrastruktur sind prominente Zeugnisse dieser Entwicklung.
Vor diesem Hintergrund verlor die Produktivität erheblich an Tempo. Dabei haben auch die Wachstumseffekte des technischen Fortschritts – entgegen der Wahrnehmung breiter Teile der Gesellschaft – gerade in Deutschland nachgelassen. Unzureichende Investitionen in Bildung, Forschung und Entwicklung – kurz das Humankapital – sind eine weitere zentrale Ursache.
Die sich abzeichnenden geopolitischen Verschiebungen sowie die Transformation der Wirtschaft zur Begrenzung des Klimawandels verschärfen das Phänomen einer säkularen Stagnation perspektivisch. Auch hier ist Deutschlands Geschäftsmodell besonders exponiert. Die bisherige Wertschöpfungskette – der Import von günstiger fossiler Energie und Rohstoffen für die Erstellung und Veredelung spezialisierter und hochqualitativer industrieller Konsum- und Investitionsgüter und deren Export in die Wachstumsmärkte Asiens – kommt von beiden Seiten unter erheblichen Druck.
Bereits in den vergangenen Jahren haben Industrie und Außenhandel kaum mehr zum deutschen Wirtschaftswachstum beigetragen oder haben es sogar gebremst.
Die säkulare Stagnation verfestigt sich
Deutschland setzt vor diesem Hintergrund zunehmend auf einen Wachstumsschub, der durch Investitionen und Innovationsimpulse im Zuge der Energiewende und der Dekarbonisierung der Wirtschaft entstehen soll. Die Hoffnungen sind nachvollziehbar, gleichwohl aber überzogen. Denn grundsätzlich implizieren die Weichenstellungen zur Klimaneutralität bis 2045 die Internalisierung erheblicher, bisher externer Kosten des deutschen Geschäftsmodells. Dadurch verteuert sich die Produktion und die Angebotsbedingungen verschlechtern sich.
Ein grüner Investitions-Boom scheint in Deutschland allenfalls für eine Übergangszeit realistisch. Die Analyse der längerfristigen Wachstumstreiber wie der Transformationsprozesse lässt vielmehr erwarten, dass sich die säkulare Stagnation der Wirtschaft insgesamt fortsetzen und verfestigen wird. Zwar werden etwa die Märkte für Klima- und Umwelttechnik und Energieerzeugung sowie die Abfallwirtschaft weltweit stark wachsen. Deutsche Unternehmen sind hier im internationalen Vergleich gut aufgestellt. Andere Bereiche der Wirtschaft werden aber schrumpfen.
Das hat für Investoren erhebliche Konsequenzen. In einem solchen Szenario bleiben die Realzinsen strukturell niedrig und die konjunkturellen Schwankungen verlieren weiter an Kraft. Investitionen in die Gesamtwirtschaft wie auch den Zyklus weisen dann ein weniger attraktives Rendite-Risiko-Profil auf.
Gleichzeitig erhöht sich die Attraktivität von Wirtschaftsbereichen, die von den Transformationsprozessen und veränderten strukturellen Rahmenbedingungen weniger betroffen sind oder sogar profitieren. Dazu gehören säkulare Wachstumstrends mit geringer Ressourcenintensität, die unter anderem in den Bereichen Digitalisierung und Erneuerbare Energien sowie Bildung, Gesundheit und Pharma zu finden sind.
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