Einige der größten Immobilienfirmen der Eurozone sind so hoch verschuldet wie zuletzt vor der Finanzkrise – im schlimmsten Szenario führt das zu einem Bankencrash

Steigende Baukosten, explodierende Zinsen, wachsende Verluste: Der Abschwung auf dem Immobilienmarkt droht sich immer mehr zu einer Finanzkrise auszuwachsen. Der Bankrott von Projektentwicklern wie Euroboden, Project-Gruppe und Development Partner im Sommer war womöglich nur der Vorbote einer größeren Pleitewelle, die schlimmstenfalls auch den Bankensektor erfassen könnte. Denn die Zinsexplosion schnürt selbst Schwergewichten der Branche immer mehr die Luft ab. Auch große Player könnten schon bald Probleme bekommen, ihre Schulden zu bedienen.

In ihrem halbjährlichen Finanzstabilitätsbericht widmet die EZB der Krise sogar ein Sonderkapitel – und schlägt Alarm. Denn der Verschuldungsgrad der größten Immobilienfirmen der Eurozone liegt heute „nahe bei oder über dem Niveau vor der globalen Finanzkrise“ – beim Zehnfachen ihrer Gewinne. Mit Beginn der Zinswende im vergangenen Jahr können die Konzerne diesen riesigen Schuldenberg aber immer schwieriger refinanzieren. Die am höchsten verschuldeten Konzerne könnten daher in Schwierigkeiten geraten, wenn sie ihre Kredite ablösen müssen, warnt die Zentralbank.

Seit Beginn der Zinswende haben sich Kredite für Gewerbeimmobilien laut EZB im Schnitt um 2,6 Prozent verteuert. Fallende Verkaufspreise schmälern die Einnahmen: Die Zahl der Verkäufe hat sich in den ersten sechs Monaten des Jahres im Vorjahresvergleich halbiert. Und durch den Trend zum Homeoffice sinken die Mieten, weil weniger Bürotürme gebraucht werden. „Dieser Mix aus zyklischen und strukturellen Herausforderungen hat in den vergangenen Monaten zu erheblichen Rating-Herabstufungen von Immobilienfirmen geführt.“

Geschäftsmodelle auf Basis von Niedrigzinsen könnten untragbar werden

Alles in allem rollen erhebliche Verluste auf die Branche zu. Der Aktienmarkt straft Immobilienfirmen daher massiv ab: Die größten börsennotierten Konzerne werden momentan 30 Prozent unter ihrem Buchwert gehandelt – mit dem größten Abschlag seit der Finanzkrise 2008. Die Notenbanker fürchten, dass vielen Firmen schon bald die Puste ausgehen könnte: „Geschäftsmodelle, die auf Niedrigzinsen und Rentabilitätserwartungen vor der Pandemie basieren, könnten mittelfristig untragbar werden“.

Die drohenden Verluste könnten schon bald zum Problem für die Bankbilanzen werden, warnen die Währungshüter. Denn im Gewerbeimmobilienmarkt stecken rund zehn Prozent aller Bankkredite der Eurozone. Schon jetzt erwartet die EZB, dass sich der Anteil der Darlehen an Firmen in den roten Zahlen in naher Zukunft auf 26 Prozent verdoppeln wird. Sollten die Zinsen für weitere zwei Jahre so hoch bleiben und die Umsätze im Immobiliensektor um 20 Prozent fallen, wäre sogar die Hälfte aller Kredite gefährdet, schätzt die EZB.

Die gute Nachricht: Es sei „unwahrscheinlich“, dass die drohenden Verluste im Gewerbeimmobilienmarkt allein „groß genug sind, um eine systemische Krise auf Eurozonen-Niveau auszulösen“. Für Banken, die besonders stark in diesem Segment engagiert sind, könnte es allerdings eng werden. Zudem ist das Problem nicht die Krise im Immobiliensektor allein, sondern dass sich momentan so viele Krisen – Inflation, Krieg in der Ukraine und im Nahen Osten, Zinswende – überlagern.

Der Immobilienmarkt könnte einen Börsencrash auslösen

Die Verwerfungen hätten daher das Potenzial, „in einem negativen Szenario zum bedeutenden, verstärkenden Faktor zu werden, wodurch sich das Risiko für systemrelevante Verluste im Bankensystem erhöht“. Soll heißen: Die drohende Pleitewelle am Immobilienmarkt könnte zum Tropfen werden, der das Fass zum Überlaufen bringt und einen neuen Bankencrash auslöst. Hinzu kommt der Ansteckungseffekt: Die drohende Pleitewelle könnte zu „schweren Verlusten“ in anderen Teilen des Finanzsystems führen, die von Gewerbeimmobilien abhängig sind, wie etwa Investmentfonds oder Versicherer.

Auch der Markt für Wohnimmobilien gerät durch die Zinsexplosion der EZB immer mehr unter Druck. Hier ist das Crashpotential sogar noch größer: 30 Prozent aller Bankkredite der Eurozone stecken in Hypotheken. Doch momentan ist dieses Segment noch vergleichsweise stabil. Bislang zumindest haben sich Inflation und Krieg bei den meisten Häuslebauern noch nicht in Jobverlust niedergeschlagen – so können sie ihre eigenen vier Wände trotz gestiegener Zinsen weiter finanzieren. Aber: „Eine merkliche Abschwächung des Arbeitsmarkts würde erhebliche Risiken für die Wohnimmobilienportfolios bedeuten“.

Dieser Text erschien zuerst bei n-tv.de

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