DAX & Co gewinnen seit Wochen kräftig hinzu. Die Frage ist, ob und wo Anleger noch investieren sollten. Die Analyse der Stimmung von Kapitalmarktexperten weltweit gibt wichtige Antworten.
Auf 3.843 Punkte belief sich der DAX-Zählerstand am 27. Februar – 2009. Das war in der Finanzkrise, einige Monate nach dem Crash von Lehman Brothers im Herbst 2008. Damit hatte sich der DAX-Zählerstand gegenüber September 2007 etwa halbiert. Anfang März 2023 sorgte der Kollaps der bis dato recht unbekannten Silicon Valley Bank für ein Bankenbeben. Am 19. März 2023 wurde die Not-Übernahme der schweizerischen Credit Suisse durch den Konkurrenten UBS bekannt. Bankaktien verloren zum Teil zweistellige Wertanteile, aber der DAX erholte sich recht schnell von einem Niveau um 14.500 Punkte auf fast 16.000 Punkte Mitte April. Das Beispiel illustriert das Dilemma, vor dem Investoren jetzt stehen: Aussteigen – so, wie es etliche Shortseller offenbar mit Wetten auf fallende Kurse planen (Handelsblatt Finance Briefing vom 20.4.), oder einsteigen beziehungsweise weiterfahren, weil die Börsen doch bessere Perspektiven bieten als andere Asset-Klassen? Die Analyse von 114.000 Analystenzitaten im Zeitraum Januar 2021 bis Anfang April 2023 durch das schweizerische Medienanalyse-Institut Media Tenor International mag dabei helfen, die Gedanken über die richtige Anlageentscheidung tiefer zu reflektieren.
Analystenstimmung
Die Analyse nach Branchen und Ländern, punktuell auch Einzelwerten, lässt erkennen, dass den unbestreitbar vorhandenen multiplen Krisen diverse Chancen gegenüberstehen, deren Stärke es einzuschätzen gilt. Hier ist zunächst ein Blick auf die großen Volkswirtschaften/Räume nötig, wobei der Vergleich des Analystensentiments vom Q4 2022 zum Q1 des neuen Jahres helfen soll, Trendveränderungen festzumachen.
China gewinnt kräftig
Der wichtigste Trend scheint die konjunkturelle Erholung in China (von -27.7 auf +10 Zähler). Die Euphorie zur Entwicklung in China ist – im Vergleich zu früheren Phasen – gedämpft, scheint aber aktuell wesentlicher Treiber der Entwicklung zu sein. Für Investoren stellt sich die Frage, ob diese Erholung bereits in den Kursen eingepreist ist. Langfristige Investoren fragen sich aber auch nach der Stärke der Wachstumskräfte angesichts problematischer Demographie, möglichen Handelsbeschränkungen und abnehmender wirtschaftlicher Freiheit durch zunehmende Planwirtschaft. Für die USA hat sich die Stimmung von -11,3 im Q4 auf -3,5 im Q1 2023 verbessert. Auch hier stellt sich die Frage, ob das moderate Plus bereits eingepreist ist. Eine erkennbare Verbesserung gibt es in der Stimmung zu Europa: Für Europa allgemein von -8,1 auf +0,7; für die Eurozone von -38,2 auf +4,4 und für die EU von -28,1 auf -9,7. Erholung ja, Euphorie nein.
Außerordentliche Wachstumsimpulse erhofften sich manche durch den Regierungswechsel in Brasilien und zunehmende Investitionen in Indien zum Ausgleich geostrategischer Risiken. Der Trend für Brasilien zeigt indes nach unten (von +37,5 auf -25,6), auch für Indien von +25 auf -35,8. Die Fallzahlen sind hier vergleichsweise gering, was die starken Schwankungen zum Teil erklärt, der Gesamttrend stimmt aber für die kurze Frist nicht sehr zuversichtlich. Beide Länder müssen sich anstrengen, um mehr Investorenvertrauen zu gewinnen. Zu Japan hat sich das Meinungsklima der Finanzexperten zuletzt leicht von +2,6 auf -4,9 verschlechtert. Aussagen mit Bezug zu globalen Entwicklungen waren dagegen zuletzt weniger pessimistisch: der Zähler stieg von -13,3 auf -0,5. Gemessen wurde überall der Saldo von negativen und positiven Wertungen in Prozentanteilen.
Die Stimmungstrends für die Branchen
Nun noch ein Blick in ausgewählte Branchen. Die Shanghai-Automesse lenkt gerade die Aufmerksamkeit von Medien und Analysten auf den Automarkt China. Das Narrativ lautet: die Europäer verlieren an Boden, heimische Hersteller übernehmen die Marktführung, vor allem bei der Zukunftstechnologie E-Mobilität. Insgesamt hat sich das Meinungsklima zum Sektor von Q4 2022 auf Q1 2023 jedoch deutlich aufgehellt. Vielleicht ist die Gesamtgröße des Kuchens doch wichtiger als kleine Veränderungen bei den Tortenstücken. Positiv sieht der Trend auch bei Nahrung, Rohstoffen, Handel, Technologie, Telekommunikation und zyklischem Konsum aus. Das Meinungsklima zum Bankensektor hat sich (erwartungsgemäß) moderat verschlechtert (von -10,6 auf -16,4 Zähler). Damit sehen die Analysten offenbar in Summe aber keine Parallele zur Weltfinanzkrise im Jahr 2008/2009.
Fazit: Vom Meinungsklima der Analysten in den Leitmedien (Financial Times, Wall Street Journal, Handelsblatt) gehen gemischte Signale aus. Weniger Signale für eine große Marktkorrektur als manche Shortseller vielleicht erhoffen, aber auch weniger positive Signale als manche Verkäufer von Retailprodukten gern hätten. Mehr spricht für eine Seitwärtsbewegung. Dabei sind, wie Gabor Steingart in seinem Morning Briefing (20.4.2023) treffende beschreibt, die Sicherheit und Berechenbarkeit von Ländern für Investoren ebenfalls zwingend zu beachten und vielleicht ist dort Deutschland besser als sein derzeitiger Ruf.
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